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Alexej Melnikow, Abgeordneter der Staatsduma, Mitglied der JABLoko-Fraktion. Moskau
Staatsduma: Zwei Schritte zur Steuerreform
Wostok Newsletter 5/2000, S.8-9

Die Publikationen auf Deutsch

Die Staatsduma hat in der ersten Juni-Dekade in zweiter Lesung zwei Kapitel des Steuergesetzbuches erörtert und angenommen, die die Einkommensteuer und Sozialabgaben, das heißt die Abführungen der Unternehmen an den Rentenfonds, den Sozialversicherungsfonds, den medizinischen Versicherungsfonds und den Beschäftigungsfonds betreffen. Die Staatsduma entschied in beiden Fällen auf geradezu revolutionäre Weise. Die dreistufige progressive Einkommensteuer wurde durch einen einheitlichen Einkommensteuersatz von dreizehn Prozent abgelöst. Das System der Sozialabgaben wurde ebenfalls weitgehend verändert: Die Abführungen an die vier Sozialfonds wurden durch eine einheitliche Sozialsteuer ersetzt, die nach einer regressiven Skala erhoben wird. Dies bedeutet: je höher der Lohn einer Arbeitskraft, desto weniger Sozialabgaben muß das Unternehmen prozentual leisten.

Der Vorschlag, einen einheitlichen Einkommensteuersatz einzuführen, wurde der Duma von der Regierung unterbreitet. Begründet wurde dies mit der Notwendigkeit, die Einkommen der wohlhabenden Bürger zu legalisieren - übrigens ist dies eine Position, die die Partei JABLoko bereits seit zwei Jahren vertritt.

Die Regierung argumentierte, daß bei einem Satz von dreizehn Prozent keine Steuerzahlerkategorie benachteiligt werde. Die Bürger mit niedrigen Einkommen zahlen ihre Steuern bereits heute nach diesem Satz. Der Steuersatz beträgt zwar tatsächlich nur zwölf Prozent, doch kommt noch eine Abgabe in Höhe von einem Prozent an den Rentenfonds dazu; im Ergebnis sind es dreizehn Prozent. Gegen die Ermäßigung der Einkommensteuer für die Reichen wandten sich in der Staatsduma die linken Fraktionen und Abgeordnetengruppen. Bereits in der Duma der letzten Legislaturperiode waren die Vorschläge, die Einkommensteuer für die Reichen zu senken, von der Fraktion der KPdRF und deren Verbündeten blockiert worden. In der im Dezember gewählten Staatsduma besitzen die Linken jedoch keine Mehrheit mehr. Daher gelang es der Regierung, ihre Vorschläge mit Unterstützung der regierungstreuen, zentristischen und rechten Fraktion durchzusetzen.

Man kann natürlich nicht behaupten, daß die Regierung auf der rechten Flanke keinen Widerstand überwinden mußte. Die Fraktion JABLoko hatte vorgeschlagen, statt einem einheitlichen Einkommensteuersatz von dreizehn Prozent, eine zweistufige Einkommensteuer von zehn bis dreizehn Prozent und zwanzig bis 25 Prozent einzuführen, wobei die Ausgaben bei Bürgern mit hohen Einkommen zum Teil aus der Steuergrundlage ausgenommen werden sollten. Nach Ansicht von JABLoko sollte diese Bestimmung gerade die Ausgaben in den Bereichen betreffen. in denen die Verrechnung zumeist in bar erfolgt und demnach ein hoher natürlicher Anteil der Schattenwirtschaft besteht. Dies betrifft beispielsweise die Ausgaben für Bildung, Medizin, den Erwerb inländischer Arzneimittel, Baustoffe, Autoersatzteile. JABLoko ist der Ansicht, daß der von der Regierung vorgeschlagene Weg in bezug auf die Legalisierung der Schattenwirtschaft deutlich weniger effizient ist. Nachdem die Fraktion keine Unterstützung für ihren Vorschlag fand, unterstützte sie den Regierungsvorschlag, da dieser - wie in der Erklärung der JABLoko-Fraktion festgehalten ist - „der in der russischen Wirtschaft bestehenden Sachlage angemessener ist als das derzeit geltende System."

JABLoko konnte jedoch einen echten Erfolg bei der Durchsetzung der Idee einer einheitlichen regressiven Sozialsteuer erzielen. Die Regierung schlug vor, die Abführungen an die vier Sozialfonds zu einer einheitlichen Steuer zu vereinigen. Hierbei sollte eine Übergangslösung von zwei Jahren für den Rentenfonds gelten, der einen Löwenanteil an den Sozialabgaben hat. 29 Prozent der Unternehmens-abführungen gehen nämlich an den Rentenfonds, während die Zahlungen an den Sozialversicherungsfonds 5,4 Prozent, an den medizinischen Versicherungsfonds 3,6 Prozent und an den Beschäftigungsfonds 1.5 Prozent des Lohnfonds betragen.

Die Idee einer einheitlichen Sozialsteuer stieß vor allem auf den erbitterten Widerstand seitens der Gewerkschaften (mit schweigender Unterstützung der Bürokraten aus den haushaltsfremden Fonds). Die Gewerkschaften argumentierten, daß die Aufhebung der haushaltsfremden Fonds angesichts der heutigen niedrigen Verdienste einen Abbau der Sozialprogramme zur Folge haben werden. Die Regierung setzte dem entgegen, daß die Einführung einer einheitlichen Sozialsteuer keinesfalls die Sozialprogramme abbauen, sondern lediglich die Erhebungsweise der Steuer verändern wird. Denn die Steuer soll nun vom Ministerium für Steuern und Abgaben erhoben werden, und man hofft, daß die Erhebungen leichter kontrollierbar und verbessert werden. Die Staatsduma unterstützte, wenn auch nach langen Debatten, den Standpunkt der Regierung.

Geradezu dramatisch entwickelte sich hingegen die Aussprache über die regressive Skala. Nur mit großer Mühe hatte sich die Regierung mit den Parteien bei der Prüfung dieser Frage im Haushalts- und Steuerausschuß der Staatsduma auf den Gedanken einer regressiven Skala verständigen können. Die JABLoko-Fraktion argumentierte für die Notwendigkeit einer regressiven Skala. Denn nur bei einer korrekt festgelegten Regression werden die Einkommen tatsächlich legalisiert. Bei dem heute in Rußland geltenden System kommt auf einen Rubel Verdienst ein Rubel und mehr Sozialabgaben und Einkommensteuer! Dementsprechend mogeln viele Unternehmer bei den Verdiensten für ihre Arbeitskräfte. Sie geben niedrigere Löhne an und müssen aus diesem Grund auch weniger Abgaben an den Sozialfonds zahlen. Ein Teil der Löhne wird schwarz ausgezahlt.

Zudem wird die regressive Skala aus Sicht von JABLoko auch durch das Prinzip der sozialen Gerechtigkeit begründet. Heute sind in Rußland die staatlichen sozialen Garantien auf einem derart niedrigen Stand, daß die Menschen mit einem relativ hohen Einkommen alle Fragen der sozialen Sicherheit individuell lösen müssen. Ihre absoluten Abführungen an die Sozialfonds übersteigen aber die sozialen Abgaben derjenigen mit niedrigen Einkommen um ein Vielfaches.

Der Haushalts- und Steuerausschuß der Staatsduma akzeptierte dasJABLoko-Konzept und hat die Änderungen an der Sozialsteuer vorbereitet und angenommen. Nach der Skala sollten die Bürger bei einem Jahreseinkommen von 100000 bis 300000 Rubel (etwa 7700 bis 23000 DM) zwanzig Prozent Abgaben zahlen, bei einem Jahreseinkommen von 300000 bis 600000 Rubel (etwa 23000 bis 46000 DM) zehn Prozent und bei einem Einkommen über 600000 Rubel im Jahr zwei Prozent. Diesem Schema hatte auch die Regierung zugestimmt. Vor der Sitzung der Duma änderte die Regierung jedoch ihre Haltung zur Tiefe der regressiven Skala. Sie schlug dann vor, die Begrenzungen für die Unternehmen auf die Anwendung dieser Skala zu erhärten. Die Staatsduma widersetzte sich jedoch dieser Haltung. Im Ergebnis wurde folgende Variante verabschiedet: die Unternehmen zahlen 35,6 Prozent bei einem Jahresgehalt bis 100000 Rubel, zwanzig Prozent bei einem Jahresgehalt von 100000 bis 300000 Rubel, zehn Prozent bei einem Jahresgehalt von 300000 bis 600000 Rubel und zwei Prozent bei einem Gehalt, das 600000 Rubel übersteigt.

Boris Nemzow. Fraktionsvorsitzender des „Bundes der rechten Kräfte" in der Staatsduma. sagte in seiner Einschätzung der beiden verabschiedeten Kapitel des Steuergesetzbuches: „Dieses Gesetzbuch ist eine Steuerrevolution. Die Steuer von dreizehn Prozent wird von allen gezahlt werden, da sie zumutbar ist. Diese Maßnahme wird einen Teil des ins Ausland transferierten Kapitals nach Rußland zurückführen."

Man muß anmerken, daß die Staatsduma im Einklang mit der in Rußland geltenden Gesetzgebung Änderungen an der Steuergesetzgebung, die die Einkommensteuer und Sozialabgaben betreffen, noch in dritter Lesung erörtern muß. Wenn die Gesetze verabschiedet werden, werden sie dem Föderationsrat und mit Zustimmung des Föderationsrates schließlich dem Präsidenten zur Unterzeichnung vorgelegt. Der Föderationsrat und der Präsident können die von der Staatsduma verabschiedeten Gesetzentwürfe ablehnen. Die von der Staatsduma angenommenen Änderungen haben also noch einen langen Gesetzgebungsweg zurückzulegen, auf dem - wie es die russische Gesetzgebungspraxis immer wieder beweist - Überraschungen zu erwarten sind.

Wostok Newslener 5/2000, S.8-9

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