Die Staatsduma hat in der ersten Juni-Dekade
in zweiter Lesung zwei Kapitel des Steuergesetzbuches erörtert
und angenommen, die die Einkommensteuer und Sozialabgaben, das
heißt die Abführungen der Unternehmen an den Rentenfonds,
den Sozialversicherungsfonds, den medizinischen Versicherungsfonds
und den Beschäftigungsfonds betreffen. Die Staatsduma entschied
in beiden Fällen auf geradezu revolutionäre Weise.
Die dreistufige progressive Einkommensteuer wurde durch einen
einheitlichen Einkommensteuersatz von dreizehn Prozent abgelöst.
Das System der Sozialabgaben wurde ebenfalls weitgehend verändert:
Die Abführungen an die vier Sozialfonds wurden durch eine
einheitliche Sozialsteuer ersetzt, die nach einer regressiven
Skala erhoben wird. Dies bedeutet: je höher der Lohn einer
Arbeitskraft, desto weniger Sozialabgaben muß das Unternehmen
prozentual leisten.
Der Vorschlag, einen einheitlichen Einkommensteuersatz einzuführen,
wurde der Duma von der Regierung unterbreitet. Begründet
wurde dies mit der Notwendigkeit, die Einkommen der wohlhabenden
Bürger zu legalisieren - übrigens ist dies eine
Position, die die Partei JABLoko bereits seit zwei Jahren
vertritt.
Die Regierung argumentierte, daß bei einem Satz von
dreizehn Prozent keine Steuerzahlerkategorie benachteiligt
werde. Die Bürger mit niedrigen Einkommen zahlen ihre
Steuern bereits heute nach diesem Satz. Der Steuersatz beträgt
zwar tatsächlich nur zwölf Prozent, doch kommt noch
eine Abgabe in Höhe von einem Prozent an den Rentenfonds
dazu; im Ergebnis sind es dreizehn Prozent. Gegen die Ermäßigung
der Einkommensteuer für die Reichen wandten sich in der
Staatsduma die linken Fraktionen und Abgeordnetengruppen.
Bereits in der Duma der letzten Legislaturperiode waren die
Vorschläge, die Einkommensteuer für die Reichen
zu senken, von der Fraktion der KPdRF und deren Verbündeten
blockiert worden. In der im Dezember gewählten Staatsduma
besitzen die Linken jedoch keine Mehrheit mehr. Daher gelang
es der Regierung, ihre Vorschläge mit Unterstützung
der regierungstreuen, zentristischen und rechten Fraktion
durchzusetzen.
Man kann natürlich nicht behaupten, daß die Regierung
auf der rechten Flanke keinen Widerstand überwinden mußte.
Die Fraktion JABLoko hatte vorgeschlagen, statt einem einheitlichen
Einkommensteuersatz von dreizehn Prozent, eine zweistufige
Einkommensteuer von zehn bis dreizehn Prozent und zwanzig
bis 25 Prozent einzuführen, wobei die Ausgaben bei Bürgern
mit hohen Einkommen zum Teil aus der Steuergrundlage ausgenommen
werden sollten. Nach Ansicht von JABLoko sollte diese Bestimmung
gerade die Ausgaben in den Bereichen betreffen. in denen die
Verrechnung zumeist in bar erfolgt und demnach ein hoher natürlicher
Anteil der Schattenwirtschaft besteht. Dies betrifft beispielsweise
die Ausgaben für Bildung, Medizin, den Erwerb inländischer
Arzneimittel, Baustoffe, Autoersatzteile. JABLoko ist der
Ansicht, daß der von der Regierung vorgeschlagene Weg
in bezug auf die Legalisierung der Schattenwirtschaft deutlich
weniger effizient ist. Nachdem die Fraktion keine Unterstützung
für ihren Vorschlag fand, unterstützte sie den Regierungsvorschlag,
da dieser - wie in der Erklärung der JABLoko-Fraktion
festgehalten ist - der in der russischen Wirtschaft
bestehenden Sachlage angemessener ist als das derzeit geltende
System."
JABLoko konnte jedoch einen echten Erfolg bei der Durchsetzung
der Idee einer einheitlichen regressiven Sozialsteuer erzielen.
Die Regierung schlug vor, die Abführungen an die vier
Sozialfonds zu einer einheitlichen Steuer zu vereinigen. Hierbei
sollte eine Übergangslösung von zwei Jahren für
den Rentenfonds gelten, der einen Löwenanteil an den
Sozialabgaben hat. 29 Prozent der Unternehmens-abführungen
gehen nämlich an den Rentenfonds, während die Zahlungen
an den Sozialversicherungsfonds 5,4 Prozent, an den medizinischen
Versicherungsfonds 3,6 Prozent und an den Beschäftigungsfonds
1.5 Prozent des Lohnfonds betragen.
Die Idee einer einheitlichen Sozialsteuer stieß vor
allem auf den erbitterten Widerstand seitens der Gewerkschaften
(mit schweigender Unterstützung der Bürokraten aus
den haushaltsfremden Fonds). Die Gewerkschaften argumentierten,
daß die Aufhebung der haushaltsfremden Fonds angesichts
der heutigen niedrigen Verdienste einen Abbau der Sozialprogramme
zur Folge haben werden. Die Regierung setzte dem entgegen,
daß die Einführung einer einheitlichen Sozialsteuer
keinesfalls die Sozialprogramme abbauen, sondern lediglich
die Erhebungsweise der Steuer verändern wird. Denn die
Steuer soll nun vom Ministerium für Steuern und Abgaben
erhoben werden, und man hofft, daß die Erhebungen leichter
kontrollierbar und verbessert werden. Die Staatsduma unterstützte,
wenn auch nach langen Debatten, den Standpunkt der Regierung.
Geradezu dramatisch entwickelte sich hingegen die Aussprache
über die regressive Skala. Nur mit großer Mühe
hatte sich die Regierung mit den Parteien bei der Prüfung
dieser Frage im Haushalts- und Steuerausschuß der Staatsduma
auf den Gedanken einer regressiven Skala verständigen
können. Die JABLoko-Fraktion argumentierte für die
Notwendigkeit einer regressiven Skala. Denn nur bei einer
korrekt festgelegten Regression werden die Einkommen tatsächlich
legalisiert. Bei dem heute in Rußland geltenden System
kommt auf einen Rubel Verdienst ein Rubel und mehr Sozialabgaben
und Einkommensteuer! Dementsprechend mogeln viele Unternehmer
bei den Verdiensten für ihre Arbeitskräfte. Sie
geben niedrigere Löhne an und müssen aus diesem
Grund auch weniger Abgaben an den Sozialfonds zahlen. Ein
Teil der Löhne wird schwarz ausgezahlt.
Zudem wird die regressive Skala aus Sicht von JABLoko auch
durch das Prinzip der sozialen Gerechtigkeit begründet.
Heute sind in Rußland die staatlichen sozialen Garantien
auf einem derart niedrigen Stand, daß die Menschen mit
einem relativ hohen Einkommen alle Fragen der sozialen Sicherheit
individuell lösen müssen. Ihre absoluten Abführungen
an die Sozialfonds übersteigen aber die sozialen Abgaben
derjenigen mit niedrigen Einkommen um ein Vielfaches.
Der Haushalts- und Steuerausschuß der Staatsduma akzeptierte
dasJABLoko-Konzept und hat die Änderungen an der Sozialsteuer
vorbereitet und angenommen. Nach der Skala sollten die Bürger
bei einem Jahreseinkommen von 100000 bis 300000 Rubel (etwa
7700 bis 23000 DM) zwanzig Prozent Abgaben zahlen, bei einem
Jahreseinkommen von 300000 bis 600000 Rubel (etwa 23000 bis
46000 DM) zehn Prozent und bei einem Einkommen über 600000
Rubel im Jahr zwei Prozent. Diesem Schema hatte auch die Regierung
zugestimmt. Vor der Sitzung der Duma änderte die Regierung
jedoch ihre Haltung zur Tiefe der regressiven Skala. Sie schlug
dann vor, die Begrenzungen für die Unternehmen auf die
Anwendung dieser Skala zu erhärten. Die Staatsduma widersetzte
sich jedoch dieser Haltung. Im Ergebnis wurde folgende Variante
verabschiedet: die Unternehmen zahlen 35,6 Prozent bei einem
Jahresgehalt bis 100000 Rubel, zwanzig Prozent bei einem Jahresgehalt
von 100000 bis 300000 Rubel, zehn Prozent bei einem Jahresgehalt
von 300000 bis 600000 Rubel und zwei Prozent bei einem Gehalt,
das 600000 Rubel übersteigt.
Boris Nemzow. Fraktionsvorsitzender des Bundes der
rechten Kräfte" in der Staatsduma. sagte in seiner
Einschätzung der beiden verabschiedeten Kapitel des Steuergesetzbuches:
Dieses Gesetzbuch ist eine Steuerrevolution. Die Steuer
von dreizehn Prozent wird von allen gezahlt werden, da sie
zumutbar ist. Diese Maßnahme wird einen Teil des ins
Ausland transferierten Kapitals nach Rußland zurückführen."
Man muß anmerken, daß die Staatsduma im Einklang
mit der in Rußland geltenden Gesetzgebung Änderungen
an der Steuergesetzgebung, die die Einkommensteuer und Sozialabgaben
betreffen, noch in dritter Lesung erörtern muß.
Wenn die Gesetze verabschiedet werden, werden sie dem Föderationsrat
und mit Zustimmung des Föderationsrates schließlich
dem Präsidenten zur Unterzeichnung vorgelegt. Der Föderationsrat
und der Präsident können die von der Staatsduma
verabschiedeten Gesetzentwürfe ablehnen. Die von der
Staatsduma angenommenen Änderungen haben also noch einen
langen Gesetzgebungsweg zurückzulegen, auf dem - wie
es die russische Gesetzgebungspraxis immer wieder beweist
- Überraschungen zu erwarten sind.